Die Geburtsstunde des Hamburger Roten Kreuzes
Am 2. Februar 1864 gründeten zwölf Hamburger Kaufleute den Vorläufer des heutigen DRK Landesverbandes.
Damit nahm die visionäre Idee Henry Dunants auch in der Hansestadt Gestalt an. In diesem Jahr feiert das DRK Hamburg sein 150-jähriges Jubiläum.
Hamburg stand in voller Blüte, als sich der Deutsch-Dänische Krieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anbahnte: Der große Brand von 1842 lag bereits zwei Jahrzehnte zurück, die Schäden waren weitestgehend beseitigt und das neu geplante Stadtzentrum verwandelte sich in eine moderne, klassizistisch geprägte Metropole. Handel und Seefahrt bestimmten die Wirtschaft und nachdem die Finanzkrise von 1857 überwunden war, konnte sich die Hansestadt als internationaler Knotenpunkt im Warenverkehr behaupten. Motor des aufstrebenden Überseegeschäfts waren die massenhaft nach Amerika auswandernden Menschen. Durch das transatlantische Passagegeschäft entwickelte sich die Hamburg-Amerikanische-Packetfahrt-Actiengesellschaft (HAPAG) zur weltweit größten Reederei vor dem ersten Weltkrieg. Kurz gesagt: Hamburg war stolz und stark und mächtig. Mit dem gleichen Selbstverständnis handelte auch seine Kaufmannschaft.
Das Mäzenentum gehörte schon lange zu den vornehmsten Tugenden der hanseatischen Oberschicht und ist nicht erst eine Erfindung der Gegenwart. Bereits während der verheerenden Cholera-Epidemie im November 1831 gründeten finanzkräftige Großbürger einen Unterstützungs-Verein. Als nun Generalfeldmarschall Friedrich Graf von Wrangel am 1. Februar 1864 mit seinen österreichischen und preußischen Truppen bei Rendsburg über die Eider ins dänische Schleswig marschierte, reagierte die Hamburger Kaufmannschaft prompt und gründete ein „Komitee zur Pflege von Verwundeten und Verletzten“. Nur einen Tag später veröffentlichte dieses in der Abendausgabe der Zeitung „Hamburgische Börsenhalle“ einen „Aufruf zur Pflege der Verwundeten“.
„Im Hinblicke auf die bevorstehenden Kämpfe in Schleswig sind die Unterzeichneten zu einem Comité zusammengetreten, welches es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Leiden der Verwundeten nach Kräften zu lindern und ihnen diejenigen Erquickungen und Bequemlichkeiten zu Theil werden zu lassen, welche selbst die vollkommenste Lazarethverwaltung nicht zu gewähren vermag. Zu diesem humanen und patriotischen Zwecke ist jeder der Unterzeichneten bereit, auch die kleinste Gabe entgegenzunehmen“, hieß es in dem Aufruf. Unterschrieben hatten zwölf namenhafte Persönlichkeiten: Heinrich Amsinck, Cesar Godeffroy, Johann Cesar, George F. Gorrissen, Ferdinand Jacobson, K.C. Jauch, Siegmund Kauffman, J.E. Mutzenbecher, Theodor Schmidt, Rudolph Schröder, P.E. Schütt, R.M. Sloman jr. und Adolf Soetbeer.
„Das war sozusagen der Kaufmannsadel, denn es gab in der Hansestadt ja keinen Adelsstand“, erklärt die Historikerin Andrea Brinckmann, die im Herbst 2014 eine Chronik über das Hamburger Rote Kreuz veröffentlicht. Gespendet werden konnte alles – von Naturalien wie Obst und Konserven über Leinen und Scharpien zum Nähen von Verbandszeug bis hin zu Geld. „Das war alles hervorragend organisiert“, weiß die Historikerin aus ihren Recherchen. „Die Commerz-Deputation war als Selbstverwaltungsorgan der Kaufleute zentral gelegen und das Komitee nahm sofort Kontakt zur Militärverwaltung auf, um Zugang zu den Lazaretten zu bekommen.“ Einen Tag später war die Annonce bereits doppelt so groß, die Zahl der Unterzeichner war auf 22 angewachsen, Erster Vorsitzender des Komitees war Theodor Schmidt, Zweiter der englisch-deutsche Reeder Robert Miles Sloman. Ein Büro wurde in der Ferdinandstraße 49 eingerichtet, in dem Dr. Philip Hirsch über 30 Jahre lang als Schriftführer amtierte.
Die humanitäre Arbeit an der Front übernahm der Hamburger Theologe Johann Heinrich Wichern mit seinen Glaubensbrüdern. Wichern hatte 1833 mit Unterstützung einflussreicher Kaufleute das „Rauhe Haus“ am Stadtrand als „Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder“ gegründet. Als er die Kriegserklärung hörte, beschwor er seine Mitbrüder: „Auf nach Schleswig!“ Zwölf Männer folgten ihm, drei weitere kamen einige Wochen später. Die Felddiakone besaßen ein Empfehlungsschreiben des „Komitees zur Pflege der Verwundeten und Verletzten“ und standen in direkter Kommunikation mit der Militärverwaltung. So erhielten sie Zugang zu den Schlachtfeldern und holten unter Einsatz ihres Lebens dänische wie preußische Verwundete aus den Schusslinien in die Lazarette. Zu ihrer Erkennung trugen die Brüder eine weiße Armbinde mit Rotem Kreuz. Die hatten Hamburger Frauen für ihren Einsatz im Krieg genäht. „Man kann also sagen, dass weltweit zum ersten Mal das Rot-Kreuz-Zeichen von Hamburgern getragen wurde“, sagt Andrea Brinckmann.
Nur zwei Jahre zuvor hatte der Genfer Geschäfsmann Henry Dunant seine erschütternden Erlebnisse aus dem blutigen italienischen Unabhängigkeitskrieg veröffentlicht. Das Buch mit dem Titel „Un souvenir de Solferino“ schloss Dunant mit der Frage: „Wäre es nicht möglich, freiwillige Hülfsgesellschaften zu gründen, deren Zweck ist, die Verwundeten in Kriegszeiten zu pflegen oder pflegen zu lassen?“ Am 17. Februar 1863 gründete Dunant mit vier Gleichgesinnten das „Comité international de secours aux blessés en cas de guerre“, um international den Aufbau ziviler humanitärer Hilfsgesellschaften zu fördern. Überall in Europa folgte man dieser Idee. „Die Hamburger Kaufleute müssen die Grundsätze des Komitees der Fünf gekannt haben“, meint die Historikerin. Auf jeden Fall hatten sie schnell und effektiv gehandelt und dabei „erfolgreiche Pionierarbeit geleistet“. Und sie hatten den Grundstein für das Hamburger Rote Kreuz gelegt.
Text: Constanze Bandowski